Ausstellung im La Boverie Museum

Der große Industriepionier

 Ostbelgien - Der große Industriepionier

Die Virtual-Reality-Brillen erlauben eine lebendige Erfahrung

Die Geschichte dieser genialen Unternehmerfamilie beginnt in Lüttich, wo jetzt, 200 Jahre später, mit einer wunderbaren Ausstellung „John Cockerill, 200 Jahre Zukunft“ an diese Industriepioniere erinnert wird.

Die Besucher dürfen sich auf eine lehrreiche und unterhaltsame Zeitreise im neuen glasverkleideten Anbau (rund 1.000 m2 Fläche) des prächtigen Museums freuen, der auf Pfeilern steht und den Maaskanal überragt. Spannend ist es, die Entwicklung der aus England stammenden Cockerills zu verfolgen, die untrennbar mit Geschichte der metallverarbeitenden Industrie in den damals Vereinigten Niederlanden und des späteren Belgiens, und nicht nur dort, verbunden sind.

Die Cockerills stammen ursprünglich aus Haslington in der Grafschaft Lancashire. William Cockerill Senior (1757-1832) war im dortigen Familienbetrieb als Mechaniker tätig und verlegte seinen Wohnsitz 1798 nach Verviers, mit dem Ziel, die Geschäfte auf das Festland auszudehnen. Dort waren seine Unternehmungen so erfolgreich, dass er seine Familie mit den drei Söhnen William Junior, Charles James und John aus England nachkommen ließ. Auf dem europäischen Kontinent florierte, neben England, seit Anfang des 19. Jahrhunderts, das frühzeitig industrialisierte Gebiet von Lüttich unter anderem wegen der Maas als Transportweg und aufgrund der Kohlevorkommen. In Verviers begann William Cockerill Senior ab 1799 Textilmaschinen zu bauen. Er durchbrach somit das bis dahin bestehende englische Monopol.

1807 gründete er in Lüttich eine weitere Maschinenfabrik, deren Leitung seine beiden jüngeren Söhne 1812 übernahmen. 1817 kauften die beiden Brüder Charles James und John die ehemalige fürstbischöfliche Sommerresidenz im Lütticher Vorort Seraing. Im Jahre 1823 zog sich Charles James aus den Werken in Seraing zurück und verkaufte seinen Anteil an König Wilhelm I. der Niederlande (zu denen Lüttich und die Region damals gehörte), der die Brüder schon vorher sehr unterstützt hatte. Charles James zog als reicher Mann nach Aachen und baute dort auf eigene Rechnung ein Imperium von Bergwerken und Produktionsstätten aus. John Cockerill (1790-1840) war somit Alleinregent seines Industriereiches und gilt daher als der Pionier der industriellen Revolution im Lütticher Becken.

Interaktiv

Cockerill Ratespiel

Interaktivität wird groß geschrieben

Zu Beginn der Ausstellung stellt sich John Cockerill, sehr schön in seinem virtuellen Büro in Szene gesetzt, den Besuchern vor und erzählt seine Geschichte und die Geschichte seines Unternehmens und seiner Erfindungen. Er beginnt mit der Herstellung von Dampfmaschinen für Schiffe und Fabriken.

1820 begann Cockerill mit der Konstruktion von Dampfschiffen, mit Schiffsrümpfen aus Metall made in Cockerill. 1822/23 nahm er den ersten Kokshochofen in Betrieb und kaufte sich eine eigene Steinkohlenzeche als Rohmaterialbasis. Die Geschichte Cockerills ist aber auch eine soziale Geschichte. Er wurde „der Vater der Arbeiter“ genannt und gründete ein eigenes Krankenhaus und ein eigenes Waisenhaus.

Das Know-how der Cockerill-Fabriken war so groß, dass die ganze Welt auf sie schaute. In der Ausstellung sind beispielsweise legendäre Innovationen im Modell zu sehen wie die Lokomotive T 12, die man mit einer 3D Brille bei ihrer Ankunft im Bahnhof sehen kann oder die MS Prince Baudouin. 1934 wurde dieses Schiff flott gemacht. Seine Geschwindigkeit von 25,25 Knoten stellte einen Weltrekord dar.

All das sind Beispiele dafür wie die Ausstellung als lebendige Erfahrung angelegt ist. Sie zeigt das reiche industrielle Erbe anhand von technischen Objekten, Bildern und Zeugnissen. Sie greift aber auch auf alle Instrumente zurück, die es dem Besucher ermöglichen, eine Interaktion zu führen, die Sinne anzustrengen, Fragen zu stellen und Versuche zu machen: interaktive Karten, Spiele, Filmvorführungen, Rekonstitutionen, 3D Animationen und Virtual-Reality-Brillen.

Die Geschichte geht weiter

Schutzanzug

Schutzkleidung

Nach dem unerwarteten Tod von John Cockerill 1940 wurde das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Die Ausstellung beleuchtet die weitere Geschichte über den 2. Weltkrieg hinweg, über das Überwinden von Krisen und das Aufstellen des Konzerns für die Zukunft.

Deshalb sieht man in der Ausstellung sehr schön den Weg von der Dampfmaschine bis zu den modernsten Technologien wie Simulationen an Computerterminals und erhält Einblick in die Märkte der Zukunft. Was ist aus dem Namen Cockerill geworden? In der heutigen Unternehmensgruppe CMI (Cockerill Maintenance & Ingénierie), mit Hauptsitz in Seraing, die 1982 aus dem Bereich Maschinen- und Anlagenbau des belgischen Konzerns Cockerill-Sambre entstand, ist er noch vorhanden.

Im Jahre 2002 wurde die Tochtergesellschaft CMI vom Konzern Cockerill-Sambre abgespalten und an private Investoren verkauft. Da die ehemalige Mutter Cockerill-Sambre inzwischen vollständig im Stahlkonzern Arcelor Mittal aufgegangen ist, stellt Cockerill Maintenance & Ingénierie heute das Unternehmen dar, das die Tradition des Namens Cockerill aufrechterhält.

Ausstellung

„John Cockerill, 200 Jahre Zukunft“ noch bis 17. September 2017.
Die Ausstellung ist durchgehend auch in deutscher Sprache dargestellt.

Eintritt: 12 € für Erwachsene.

Das Museum ist geöffnet von Dienstag bis Sonntag, von 10 bis 18 Uhr.
Der Eintritt zur Dauerausstellung ist kostenlos am 1. Sonntag jeden Monats.

Von: Rolf Minderjahn

Am: 25.07.2017

In: KulturNews

Fotos: Rolf Minderjahn

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